AG München v. 23.5.2017 – 283 C 1132/17
Mehrfamilienhaus: Gepolter und Getrampel von Kindern ist hinzunehmen
Das „Gepolter“ und „Getrampel“ einer in der Nachbarwohnung oberhalb wohnenden Familie mit Kindern ist hinzunehmen. Kinderlärm ist als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung grundsätzlich als sozialadäquat, zumutbar und zu akzeptierendes typisches Verhalten anzusehen.
Der Sachverhalt:
Die verheirateten Kläger leben in einer Mietwohnung direkt unter der Wohnung
des beklagten Ehepaares mit deren 14 und 16 Jahre alten Kindern. Das Mietshaus
wurde 1962 in massiver Bauweise errichtet. Die Kläger tragen vor, die Beklagten
und ihre Kinder würden laute Geräusche verursachen und auch während der
Mittags-, der Nacht- oder der Feiertagsruhe herumrennen und herumtrampeln. Es
würden Türen zugeschlagen, was in ihrer Wohnung hörbar sei und eine erhebliche
Belästigung darstelle. Es gehe von den Beklagten und ihren Kindern ein
ständiger Lärm aus, der weit darüber hinausgehe, was zugestanden werden müsse.
In dem von ihnen über drei Monate geführten Lärmprotokoll finden sich nahezu
täglich bis zu acht Eintragungen über Lärmen und Poltern vor allem in den
Nachmittags- und Abendstunden bis spätestens 22.30 Uhr. Nach einer ersten
Vereinbarung – noch vor diesen Aufzeichnungen – sei es mit den Beklagten nur
für kurze Zeit besser geworden.
Die Beklagten trugen vor, die behaupteten Ruhestörungen entsprächen nicht der
Wahrheit. Der Beklagte arbeite als Kraftfahrer an wechselnden Tagen von 7 bis
22 Uhr, seine Ehefrau von 7 bis 16 Uhr. Die Kinder seien von 7 bis 17 Uhr in
der Schule. Die Kinder trauten sich nicht mehr auf den Balkon zu gehen, weil
sie vom Kläger angeschrien würden. Dieser sitze oft unten in seinem Garten
unmittelbar über dem Balkon. Die Beklagten geben an, sie trauten sich nicht nach
der Arbeit zu saugen, Wäsche zu waschen oder Essen zuzubereiten. Die Kinder
trauten sich nicht laut zu lachen oder laut zu reden. Man habe keine Erklärung,
warum die Kläger sich durch Ruhestörung gestört fühlten. Der Kläger sitze den
ganzen Tag dort und notiere wann jemand komme und gehe. Er habe mit der
gesamten Nachbarschaft Streit.
Das AG wies die auf Unterlassung weiterer Ruhestörungen gerichtete Klage ab.
Das Urteil ist nach Zurücknahme der Berufung rechtskräftig.
Die Gründe:
Ein Mieter kann zwar von einem Mieter desselben Mehrfamilienhauses unter dem
Gesichtspunkt der Besitzstörung u.U. die Unterlassung nicht hinzunehmender
Geräuschbeeinträchtigungen verlangen. Dass die hier in der Wohnung der
Beklagten auftretende Geräuschentwicklung ein nicht mehr hinnehmbares
sozialadäquates Maß überschritten hätte, ist aber nicht ersichtlich. Das ergab
u.a. die auf Vorschuss der Kläger von einem Sachverständigen über vierzehn Tage
durchgeführte Dauerlärmmessung.
Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass in Räumen, die unterhalb
einer anderen Wohnung liegen, mit dem Auftreten von Geräuschen aus der darüber
liegenden Wohnung zu rechnen ist. Das gilt erst recht, wenn es sich wie im
Streitfall um einen Altbau aus dem Jahr 1962 handelt, indem ein moderner Standard
der Geräuschdämmung nicht erwartet werden kann. Kinderlärm ist als Ausdruck
selbstverständlicher kindlicher Entfaltung grundsätzlich als sozialadäquat,
zumutbar und zu akzeptierendes typisches Verhalten anzusehen.
Auszugehen ist dabei von der Wohnung als familiengeschütztem Raum und dem
Umstand, dass Kinder meist in jedem Lebensalter gewisse Störungen hervorrufen.
Dabei kommt es auch auf die übrigen Verhältnisse im Haus und das Lebensalter
der Kinder und Jugendlichen sowie die Verhältnisse der Eltern an. Zwar müssen
die Eltern als Mieter ihnen alles Zumutbare unternehmen, Störungen von anderen
Mietern fernzuhalten. Jedoch sind die beklagten Eltern nicht ohne weiteres
verantwortlich, wenn sich die 14 – 16-jährigen Kinder von ihnen nichts mehr
sagen lassen. Im Zweifel ist für das Kind und dessen Eltern zu entscheiden.
Selbst wenn vereinzelt, wie vom Kläger behauptet, nach 22 Uhr
„Rumpeln“, „Rumgetrampel“ bzw. „Rumgepolter“ in
einem Maße vernehmbar gewesen sein sollte, welches nicht mehr sozialadäquat hinnehmbar
gewesen wäre, so liegt nahe, dass dies zumindest auch durch die Kinder der
Beklagten verursacht worden ist, für deren gelegentliche Verstöße die Beklagten
aus den vorgenannten Gründen nicht haftbar zu machen sind.
Quelle: AG München PM Nr. 55 vom 12.7.2019